Aktien sind (fast) wie Ablasshandel – aber dennoch sinnvoll

von Kessie Dönhurst

Reden wir einmal über Ablasshandel. Nach den Vorstellungen mancher Katholiken gibt es neben Himmel und Hölle noch eine Zwischenstufe, das Fegefeuer. Dort wird der Delinquent eine Zeitlang gequält, bis seine Verfehlungen gesühnt sind. Örtliche Pfaffen vor vielen Jahrhunderten machten sich dies zu Nutze, und erzählten den Menschen, dass sie die Zeit im Fegefeuer durch entsprechende Zahlungen an die Kirche verkürzen könnten.

Nach Martin Luthers Reformation wehte den Kirchenbonzen der eisige Wind ins Gesicht, und es wird gemeinhin angenommen, dass es nach dem 16. Jahrhundert keinen nennenswerten Ablasshandel mehr gab. Doch was hat das mit Aktienhandel zu tun, verdammtnochmal?

Ablasshandel ist wie Geld für eine Illusion

Ob man nun an Himmel und Hölle glaubt, oder nicht: Dass es einem örtlichen Kirchenvorsteher gestattet ist, in die göttlichen Vergebungsroutinen hineinzupfuschen, und dafür Geld zu kassieren – dem Gedanken können wir gemeinsam eine Abfuhr geben. Und doch ist der Ablasshandel nie ganz ausgestorben.

Wenn die Münze im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt!

(Johann Tetzel)

Beispiel: Sammlermarken sind wie Ablasshandel

Zu Zeiten, in denen Briefe noch nicht digital frankiert wurden, verdiente die Bundespost Millionen mit Sammlermarken. Das sind Briefmarken, die – möglichst postfrisch – ins Album gesteckt werden, und häufig nach dem Tod an einen Erben übergehen. Sie werden niemals auf einen Brief geklebt, und die Deutsche Post wird sie auch nicht zurückkaufen.

Auch wenn die Marken unter Sammlern einen gewissen Wert besitzen, und sogar manchmal weiterverkauft werden, hat doch die Post für das Drucken wertloser Papierfetzen ein Heidengeld verdient.

https://1x1-finance.de - Deutsche Bundespost 40, Deutschland 55, Aktien sind auch wie Ablasshandel

Bild: Genau diese Dinger, nur ohne Stempel (Foto: Tolga Deniz Aran / Unsplash)

Mein Editor sagt mir gerade, ich solle jetzt mit den Wortspielen zur Kirchenpolitik aufhören. Okay. Aber die Erkenntnis bleibt: Sammlermarken sind den Ablassbriefen nicht unähnlich.

Aktien sind auch wie Ablasshandel

Bei klassischen Inhaberaktien wird eine Illusion verkauft, die den Sammlermarken nicht unähnlich ist. Der einzige Unterschied besteht in der Dividende. Ist ein Unternehmen entsprechend erfolgreich, wird an die Aktionäre ein kleiner Prozentsatz ihres Aktienvolumens in bar ausgezahlt. Wer eine Namensaktie hält, kauft sich damit bei der Aktionärsversammlung zudem ein (allerdings kaum bedeutendes) Stimmrecht.

Aktionäre können indes nicht in ein Unternehmen marschieren, auf einen schicken Papierkorb zeigen, und sagen: „Der gehört jetzt mir, dafür gebe ich euch meine Aktien zurück!“. Manchmal kaufen Unternehmen in Zeiten hoher Liquidität Aktien aus Streubesitz zurück – doch das ist selten, und geschieht nur, wenn das Unternehmen dies so entscheidet. Kein Aktionär besitzt das Recht, dies einzufordern.

Wie bei den Sammlermarken entsteht der einzig wirkliche Wert einer Aktie dadurch, dass sie gehandelt, und von anderen Tradern nachgefragt werden können. Im Umkehrschluss heißt dies, wenn alle Börsianer aufhören würden, Aktien zu handeln, dann wären diese auf einen Schlag nichts mehr wert. Dann hätten die Aktionäre – wie beim Ablasshandel – Geld bezahlt für etwas, das keinen Wert besitzt. Viele sogenannte „Penny-Stocks“ hat genau dieses Schicksal ereilt. Sie sind nichts mehr wert.

Börsen sichern den Wert der Aktien durch Derivate

Der Begriff „Derivat“ kommt aus dem Italienischen. „Derivare“ bedeutet „ableiten“, und nichts anderes ist ein Derivat. Aber wozu gibt es sie? Nun, es könnte ja passieren, dass eine Aktie so beliebt ist, dass niemand sie hergeben will. Eine Zeit lang würde deren Wert wachsen, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt, wenn aber keine Verkäufe stattfinden, wird sie wertlos. Das ist alles graue Theorie, da es in der Wirklichkeit nicht vorkommt – aber immerhin…

Weshalb es Derivate gibt

Die Zahl der Menschen weltweit, die sich für den Handel mit Aktien interessieren, wächst schon seit Jahrzehnten stetig. Damit nicht irgendwann mal die Aktien knapp werden, haben die Börsen sich Ersatzpapiere ausgedacht.

Was sind Derivate?

Der Begriff „Ersatzpapier“ ist ja gerade schon gefallen. Ein Derivat besitzt eine Basis, und damit können Aktien gemeint sein, aber auch Rohstoffe, Güter, Wertpapierfonds oder Preisentwicklungs-Indizes. Üblich sind allerdings Derivate auf Aktien.

Optionen und Futures

Derivate sind eine Erklärung, irgendwann einmal (ein festgelegter Zeitpunkt in der Zukunft) eine fest vereinbarte Menge der Basis zu einem fest vereinbarten Preis einzukaufen – ungeachtet dessen, welchen Wert die Basis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich besitzt. Dabei kann man sich das Recht zu diesem Handel per Derivat kaufen (eine „Option“), oder der Handel wird bereits verpflichtend vereinbart („Futures“).

Ein Fallbeispiel

Mal angenommen, ein Fußballexperte hat sich den Zustand der deutschen Nationalmannschaft angeschaut, und ist überzeugt, dass mit dieser Truppe kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Er rechnet sich aus, dass der Werbewert für den Ausstatter Adidas damit steil bergab geht. Er weiß überdies, dass Nike aus USA gerade mächtig investiert und expandiert, und fragt sich, wie lange die Partnerschaft zwischen DFB und Adidas noch halten wird.

Also kauft er sich Optionen auf Nike-Aktien zu einem Preis, der so deutlich über dem aktuellen Wert liegt, dass er auch einen Verkäufer dafür findet. Dann wartet er ab. Und wie wir inzwischen Wissen, hat Nike dem DFB Anfang 2024 ein Angebot gemacht, das dieser nicht ausschlagen konnte. Die Meldung hat weltweit große Wellen geschlagen, die Nike-Aktie hat sich entsprechend entwickelt, und wenn der Zeitpunkt zum Ziehen der Option gekommen ist, freut sich der Trader, da der Wert der Aktien längst über den Wert seiner Option gestiegen ist, und er praktisch ohne Risiko und in kürzester Zeit ein Bombengeschäft gemacht hat.

https://1x1-finance.de - Aktien sind (fast) wie Ablasshandel – aber dennoch sinnvoll - DEUTSCHER FUSSBALL-BUND, DFB

Nike-Logos auf den Trikots vom DFB: Wir werden uns daran gewöhnen müssen

Ärgern wird sich stattdessen der Zeugwart der Nationalmannschaft, weil er zukünftig die Streifen von Adidas-Fußballschuhen runterknibbeln, und Nike-Logos drauftackern muss. Denn spielen will in diesen Schuhen bekanntlich niemand.

Optionen und Futures sind die häufigste Form von Derivaten, allerdings nicht die einzigen. Es ist aber wichtig, festzuhalten, dass wir damit ein theoretisches Finanzprodukt (das Derivat) mit einem theoretischen Finanzprodukt (Aktien) als Basis vor der Nase haben. Und davon gibt es nicht wenige. Laut dem Deutschen Derivate Verband (DDV) sind rund eine Million Derivate weltweit handelbar, also grob zehnmal so viele, wie überhaupt Aktiengesellschaften existieren.

Zertifikate als dritte Abstraktionsebene

Nun kommen die Zertifikate ins Spiel, über die mein Kollege Carsten an anderer Stelle schon ausführlich geschrieben hat. Zertifikate sind Wertpapiere, die wie Derivate eine Basis besitzen. Der Wert der Zertifikate steht und fällt mit dem Wert der Basis, und künstliche „Verstärkungselemente“ wie Hebel, Knock-Outs oder Bonus-Barrieren machen das Spielchen noch interessanter.

Wenn Zertifikate eine Sammlung an Derivaten zur Basis haben, sind wir völlig im theoretischen Nirwana gelandet. Und dabei darf nicht vergessen werden, dass weder die Aktie, die auf dem Erfolg eines Unternehmens basiert, noch das Derivat, das auf der Aktie basiert, noch das Zertifikat, das auf dem Derivat basiert, einen tatsächlichen, reellen Wert besitzen.

Diese Finanzprodukte können nur existieren, weil es irgendwo jemanden gibt, der bereit ist, Geld dafür zu bezahlen. Ohne diesen freiwilligen Handel würde der Wert aller dieser Papiere sofort auf eine glatte Null sinken.

Genau wie beim Ablassbrief!

Q.E.D.

https://1x1-finance.de - Kessie Dönhurst, die Wahrheit zum Thema Inflation - und was man euch in der Schule verschwiegen haben

Kessie Dönhurst

Ich schreibe nur, wenn ich recht habe. Deshalb solltest Du umso aufmerksamer lesen!

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